Uwe

       *12.10.1960      +11.03.2024

Wenn ich mich richtig erinnere, begann meine Freundschaft mit Uwe vor etwa 40 Jahren in einer christlichen Teestube am Hauptkanal in Papenburg-Untenende. Er parkte seinen elektischen Rollstuhl vor dem Eingang und überwand die paar Meter bis zu dem Tisch, an dem ich mit einem weiteren Teestubenbesucher Schach spielte, damals noch aus eigener Kraft. Schweigend aber interessiert sah er unserem Spiel zu. Als mein Gegner aufgeben wollte, weil er die Partie für hoffnungslos verloren ansah, fragte Uwe mich, ob ich was dagegen hätte, wenn er für ihn weiterspielen würde. Großzügig sagte ich zu, meines baldigen Sieges gewiss. Aber da wurde nichts draus, denn knapp eine Viertelstunde später setzte er mich schachmatt. Ein Erlebnis, das mir noch sehr oft vergönnt war, denn sooft ich mich in den folgenden Jahrzehnten immer wieder einmal mit Uwe auf Schach eingelassen habe – in sicherlich hunderten von Versuchen – , ist es mir kein einziges Mal gelungen, auch nur eine Partie für mich zu entscheiden. Unserer Freundschaft tat das aber keinen Abbruch.

Geboren wurde Uwe am 12.Oktober 1960 in Behlendorf, Kreis Herzogtum Lauenburg, südlich von Lübeck. Eineinhalb Jahre später folgte seine Schwester Petra. Als Uwe 4 Jahre alt war, zog die Familie in das 12 km entfernte Dorf Klinkrade, wo Uwe die erste Klasse der Grundschule besuchte. Weil aber schon damals erste Anzeichen seiner Erkrankung sichtbar wurden, – Uwe litt zeitlebens an Muskeldystrophie, einer genetisch bedingten bis heute unheilbaren Krankheit, deren wesentliche Symptome darin bestehen, dass die Muskeln langsam aber stetig abgebaut werden – absolvierte Uwe die nächsten drei Schuljahre im Sprachheilinternat Wentorf bei Hamburg, wo es neben dem normalem Schulunterricht spezielle therapeutische Hilfen und Förderung gab. Nach der vierten Klasse musste er dieses Internat jedoch wieder verlassen, weil die Behörden eine weitere Förderung ablehnten und die Eltern alleine für die hohen Schulkosten nicht aufkommen konnten.

Jetzt wieder zuhause in Klinkrade wurde von einer zunächst beabsichtigten Anmeldung in die 5. Klasse der Realschule abgesehen, weil der dortige Rektor Uwe trotz ausreichenden geistigen Fähigkeiten aufgrund seiner Behinderung nicht wollte. Stattdessen besuchte Uwe – auf den Schulbus angewiesen – . die Dörfer-Gemeinschafts-Schule im Nachbarort Sandesneben. , die er mit dem Hauptschulabschluss nach Klasse 9 beendete.

Den Realschulabschluss holte er dann in zwei Jahre in einem Internat für Körperbehinderte in Hamburg nach. Während dieser Zeit muss JESUS CHRISTUS Uwe gefunden haben: Uwe kam mit gläubigen Christen in Kontakt, er besuchte eine freikirchliche Gemeinde und kam zum rettenden Glauben. Jedenfalls bezeichnete er selbst den 4.März 1976 (oder 1977?), den Tag seiner Bekehrung, als seinen 2. Geburtstag, der ihm mindestens so wichtig war wie sein erster natürlicher Geburtstag.

Aber zurück zu den vorletzten Dingen: Auch eine Lehre zum Industrie- und Großhandelskaufmann in einem Internat in Villingen im Schwarzwald hat Uwe danach noch abgeschlossen. Aus Platzgründen konnte er dort jedoch nicht bleiben und bezog eine erste eigene kleine Wohnung in einem Wohnprojekt in Bremen, in dem behinderte und nichtbehinderte Menschen zusammenlebten. Über einen Mitbewohner entstanden auch hier wieder Kontakte zu einer freikirchlichen Gemeinde, Uwe lernte die Arbeit der Deutschen Inlands-Mission kennen und kam im Rahmen eines „Nordlicht“ Einsatzes 1984 das erste Mal nach Papenburg. Und dann 1985 für ein Missionshelferjahr. Er arbeitete in der Teestuben- und Gemeindegründungsarbeit von Johann und Gerta Baumann mit und wohnte, als meine Frau und ich ihn kennenlernten, zusammen mit Andreas , einem weiteren Missionshelfer, in einer kleinen Wohnung im 1. Stock des Hinterhauses der direkt neben der Teestube gelegenen immer noch existierenden Szenekneipe “Why Not“.

Zu dieser Zeit war er bereits auf einen Rollstuhl angewiesen, konnte aber noch einige Schritte selbständig gehen, und Andreas hat ihn immer die Treppe zu der Wohnung hinauf- und hinuntergetragen. Durch die guten Kontakte zu Baumanns ist Uwe dann in Papenburg geblieben, konnte in eine frei gewordene zur ebenen Erde gelegene Wohnung im Hinterhof der Teestube umziehen. Ich kann mich noch gut an diese Zeit erinnern, in der er auch noch mit seinem elektrischen Rollstuhl durchs Papenburger Untenende düste, im örtlichen Schach-Verein aktiv war und per Bahn Freunde in der Schweiz und in Schleswig-Holstein besuchen konnte.

Als es dann 1995/96 zum Kauf und Renovierung des Hauses Gasthauskanal 10 durch die mittlerweile gegründete Freikirchliche Gemeinde Papenburg kam – in dieser Zeit sind auch Uwe Eltern von Schleswig-Holstein nach Papenburg gezogen -, fand Uwe dort in der kleinen Parterre-Wohnung im Vorderhaus eine neue Bleibe.

Dass er dort – trotz seiner weiterhin unaufhaltsam fortschreitenden schweren Erkrankung bis zuletzt weitgehend selbstbestimmt leben und am Gemeindeleben (an Gottesdiensten, Hauskreisen, Bibel- und Gebetstunden oder Missionsabenden etc. pp) teilnehmen konnte, wurde ihm dadurch ermöglicht, dass sich viele Gemeindeglieder, die Eltern, seine Schwester, DIM-Mitarbeiter, Gemeindepraktikanten, Freunde und was weiß ich wer sonst noch alles in all den Jahren, die Uwe in der Gemeinde gewohnt hat, in beispielhafter Weise um Uwe gekümmert haben: ihm beim Aufstehen und Zubettgehen geholfen, mit Essen versorgt, für ihn eingekauft, seine Wohnung geputzt haben, ihn an ihrem Leben teilhaben lassen und und und …. Ganz bewusst möchte ich hier keine Namen nennen, damit ich niemand übergehe.

Und als das alles allein von Laien so nicht mehr zu bewältigen war, weil Uwe irgendwann nicht einmal mehr die eigenen Arme heben konnte und nun vollständig auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen war, kamen – das Jahr weiß ich nicht mehr genau – auch die Pflegedienste hinzu – zunächst zweimal pro Woche, um ihn zu baden, später jeden Morgen und Abend. Und dann ab 2011 zusätzlich die Soziale Assistenz, um wenigstens über Tag eine durchgehende Betreuung zu gewährleisten.

Dass er damit als über 50-jähriger noch einmal Arbeitgeber wurde, der über ein eigenes Budget verfügte und eigene Mitarbeiter einstellen konnte, daran hat er als Jugendlicher wohl nicht einmal im Traum gedacht , ganz abgesehen davon, dass es Prognosen seiner Lebenserwartung von 30, maximal 40 Jahren gab.

In seinen letzten zwei Lebensjahren hat sich dann auch noch ein Team von Freiwilligen gebildet, die wechselseitig einmal pro Nacht nach Uwe geschaut und ihn im Bett umgelagert haben. Und mit einer gläubigen Medizinerin, die ebenfalls zu diesem Team gehörte, hatte er schon vorher eine Hausärztin gewonnen wie er sie sich besser nicht hätte wünschen können. (Ein sichtbarer Beweis für GOTTES Treue Uwe gegenüber!).

Obgleich mit zunehmender körperlicher Eingeschränktheit auch der Computer für Uwe immer wichtiger wurde, blieb er bis zuletzt ein geselliger und kontaktfreudiger Mensch, der sich über jeden Besuch freute, liebend gern spielte, aber immer auch immer für geistliche Themen aber für die Nöte anderer offen war.

Er war aber auch ein Beter, und was sein Gebetsleben zu einem ganz besonderen machte, war, dass er an den Länder, Personen und Situationen auf dem Missionsfeldern, für die er betete, sehr interessiert und immer auch umfassend über sie informiert war.

Natürlich war er – wie wir alle, mitunter auch schwierig und eigensinnig -, aber – und dafür fehlt mir jede natürliche Erklärung -, ich kann mich in all den vielen Jahren unserer Freundschaft nicht erinnern, dass Uwe sich jemals über seine Situation beklagt oder mit seinem Schicksal gehadert hätte, geschweige denn, dass es ihm in den Sinn gekommen wäre, Seinen GOTT und Heiland dafür auf die Anklagebank zu setzen.

In einem auf seinem Youtube-Kanal veröffentlichten Video beschreibt er seine eigene Situation als Betroffener von Muskeldystrophie und gibt auf die Frage nach der Gerechtigkeit GOTTES angesichts von Leid und Krankheit eine überraschende Antwort.

Originalzitat Uwe: „GOTT wurde in JESUS Mensch und bezahlte als einziger, der nicht für sich selbst bezahlen musste ( da Er ohne Sünde war) auch für mich. Wenn wir es für uns in Anspruch nehmen, dass JESUS an unserer Stelle starb und Er in unserem Leben regieren darf, verbringen wir die Ewigkeit bei Ihm – ohne Leid. Aus Liebe tat Er das denkbar Beste. Es fiele mir nicht ein, dem, der das größte Problem gelöst hat, vorzuwerfen, dass Er nicht noch mehr tat. Ich habe mehr davon, dass Er für mich am Kreuz gestorben ist, als wenn Er mich jetzt gesund machte.“

Diese tiefe Verwurzelung im christlichen Glauben gab Uwe die Kraft, sein Schicksal mit Mut und Zuversicht zu tragen. Er war ein brennender Zeuge JESU und wusste, dass er nach seinem Tod in die ewige Herrlichkeit eingehen würde.

Mit großer Freude zeigte er mir einmal einen, einem amtlichen Dokument nachempfundenen Ausweis, in dem der Bundesadler durch ein Lamm ersetzt war, und der den Inhaber Uwe als Himmelsbürger auswies.

Uwes Leben war zwar von Leid und Krankheit gezeichnet, aber gleichzeitig war es auch ein Leben voller Liebe, Glaube und Hoffnung. Er hat allen gezeigt, wie man mit schwierigen Situationen umgehen kann und wie man trotz aller Widrigkeiten ein erfülltes Leben führen kann. 

Am 11.03. 2024 ist Uwe uns dann zu seinem geliebten HERRN  vorausgegangen, an einen besseren Ort, wo er keine Schmerzen und Leiden mehr erfahren muss und er endlich schauen darf, worauf er sich lange sehnsüchtig gefreut hat.


 

2 Kommentare

  1. Rainer sagt:

    Meine Zeit mit Uwe
    Am  1. Mai 2022 begann für mich eine neue und wie sich herausstellen sollte sehr schöne Zeit in meinem Leben. Ich wurde Assistent bei Uwe und übernahm damit eine der tollsten Aufgaben in meinem Arbeitsleben. Während meiner Bewerbung hatte ich selbst meine Bedenken kundgetan weil ich überhaupt keine Erfahrung mit der körpernahen Pflege von Menschen hatte. Uwe hate mir schnell meine Zweifel genommen und mir Hilfe  und Rat gegeben. Schon nach kurzer Zeit und anfänglicher Angst etwas falsch zu machen, fing ich an, mich sehr wohl bei ihm zu fühlen und mich auf jeden Dienst zu freuen. Wir spielten gemeinsam Spiele, redeten gerne über alle möglichen Themen, diskutierten gern miteinander und schwelgten auch gern mal in der Vergangenheit. Gerne durfte ich an Uwe`s Leben teilhaben und viele seiner Freunde und seine Familie kennenlernen. Meine Zeit mit ihm hat mich reifer und weiser werden lassen. In aller Zukunft wird er einen Platz in meinem Herzen haben.
     

  2. Susanne sagt:

    Erinnerungen an Uwe Eigentlich kenne ich Uwe schon sehr lange – beziehungsweise, ich wusste, dass es ihn gibt: Diesen gläubigen Mann im Rollstuhl, den man akustisch nicht so gut verstehen konnte. Aber richtig kennengelernt habe ich ihn erst während des letzten halben Jahres, seit ich zum Assistenzteam dazugekommen bin. Ich erinnere mich sehr gut an die ersten Tage des Kennenlernens, als ich Uwe fragte: „Uwe, woran erkenne ich, ob du lachst oder weinst?“ Denn das war an seiner Mimik nicht erkennbar. Er meinte trocken: „Wenn ich lache, das merkst du schon.“ „Weinst du auch?“, fragte ich ihn noch einmal. Da bekam er Tränen in den Augen, und er erzählte über hungernde Kinder in Nordkorea, über die Christenverfolgung dort und die schlimmen Zustände des Landes insgesamt. Und gleich zwei Eigenschaften lernte ich dadurch an Uwe kennen, die sich immer wieder bestätigten: 1. Uwe hatte keinerlei Selbstmitleid, aber er konnte Tränen weinen für Notleidende, Verfolgte und Hungernde. 2. Sein leidenschaftliches Herz für Nordkorea und sein anhaltendes Gebet für das Land. Seit Januar war ich dabei, Uwe abschnittsweise ein Buch über Nordkorea vorzulesen – eine Geschichte über Freundschaft, Verrat und Vergebung – und wollte es bis Ende März durchgelesen haben. Das haben wir nun nicht mehr geschafft, und es ist nun auch nicht mehr nötig. Ich gehe davon aus, dass er jetzt tiefere Einsichten hat, als ein Buch sie vermitteln könnte. Was mich ebenso erstaunte, war sein großes Netz an ehrenamtlichen Unterstützern, ohne die ein selbstbestimmtes Leben in seiner Wohnung nicht möglich gewesen wäre. Diese gelebte Liebe hat mich tief berührt. Und irgendwie war Uwe mutig UND demütig genug, diese Hilfe anzunehmen. Ich wünsche mir auch, Hilfe annehmen zu können, wenn ich sie brauche. Besonders, wenn ich mich nicht selbst revanchieren kann und die Belohnung des anderen Gott überlassen muss. Wobei Uwe selbst viel zu geben hatte, und das auf vielen verschiedenen Ebenen: Für meine Begriffe funktionierten seine grauen Zellen überdurchschnittlich gut, und es gab kaum ein Thema, bei dem er nicht mitreden konnte. Einmal hat er zum Beispiel gewisse Eigenheiten von Teenagern so treffsicher und witzig dargestellt, dass man meinen konnte, er habe selbst einige davon aufgezogen. Und ich fragte mich öfters, woher er all das wusste, denn es waren Einsichten, die man sich nicht allein durch lesen aneignen kann. Ich habe mich auch immer wieder gewundert, wie er es aushält mit dem ganzen Tross an Pflegepersonal, Assistentinnen und Assistenten etc. pp: Immer wieder Neue, immer wieder neu anlernen, aushalten, vertrauen, zutrauen, Kontrolle abgeben … Alle Achtung! Mir wäre das schwer gefallen! Uwe hat es wahrscheinlich im Laufe der Zeit gelernt. Wahrscheinlich gibt es keinen, der Uwe auch nur oberflächlich kannte, dem nicht seine Leidenschaft für verschiedene Spiele bekannt sind. Und kaum hatte man sich umgedreht und sein Zimmer für einen Moment verlassen, hörte man schon das vertraute „Pling … Pling“ vom Computer her: Da lieferte Uwe einem Kontrahenten beim Wortspiel eben schnell und zwischendurch eine Revanche, sobald er am Zug war. Und wer es beim Spielen mit Uwe aufnehmen wollte, musste sich warm anziehen! Am Anfang habe ich beim Mühlespiel immer verloren. Da verkraftete ich auch nur ein paar Spiele hintereinander. Doch dank Uwes Geduld, mir ein paar Prinzipien beizubringen – er konnte sehr gut erklären (!) –, stand es später auch öfter „unentschieden“. Meine gewonnenen Spiele kann man an einer Hand abzählen. Was Süßigkeiten anbetraf, hatte Uwe eine interessante Logik: Da Zucker aus Zuckerrüben, sprich Gemüse, hergestellt wird, könne Zucker ja nicht so ungesund sein. Nun soll es nicht so scheinen, als sei Uwe ein Heiliger gewesen – zumindest nicht im umgangssprachlichen Sinne. Natürlich hatte er auch gewisse Eigenheiten. Aber in Gottes Augen war er ein Heiliger: Er hat die Erlösungstat Jesu am Kreuz persönlich für sich angenommen, und das hat ihn von aller Schuld gereinigt, ihm Gottes Gerechtigkeit verliehen und ihn damit zum Heiligen gemacht! Und er hat an diesem Glauben an einen treuen Hirten festgehalten, behielt die Hoffnung auf ein Leben in Gottes Herrlichkeit vor Augen – trotz seines Leidensweges, oder gerade deshalb. Daher betrachte ich Uwe als einen besonders tapferen Heiligen! Ich werde Uwe vermissen. Und nun, da ich seine schillernde Persönlichkeit etwas kennenlernen durfte, denke ich: Ich hätte Uwe gerne früher kennengelernt

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