Karin

 

Hier ein paar Kurzgeschichten von Karin Wienekamp –  www.jesus-connect.de

Karin lebt seit Jahren in Berlin.  Ich kenne sie noch aus ihrer Zeit als Punk in Emden.

 

Zeiten und Zeichen

 

Versonnen streicht er an seiner langen Fensterfront vorüber – durch ein paar Wolkenfäden scheint silbrig ein Mond über entfernten Hochbauten einer großen, weiten Stadt, sagen wir, Frankfurt. Es ist Mitternacht, dunkelblau verlockt der Himmel. Ein paar Sternbilder blicken herab und sehen ihn freundlich an – er weiß nicht – ist nicht mehr sicher – schaut hinauf in diese bläulich-samtene Nacht – wie schön das ist, denkt er – verbirgt sich wohl jemand dahinter? – Nein. Es wird die Nacht selbst sein, so ruhig und klar – ganz nah – sprechen könnte er jetzt zu ihr, und sie würde verstehen, glaubt er in diesem Augenblick. Vielleicht erwartet sie ihn? Er spürt hin, einige Atemzüge lang – – nein, nichts. Da ist doch nichts. Er geht weiter an der Fensterfront entlang, blickt kurz in seiner Wohnung umher, und wieder zieht ihn der Himmel an mit seinen Sternen und diesem Mond!
Er fällt aufs Sofa, während sein Auge noch durstig schaut. Hier rückt er sich heute ein Kissen zurecht, will nicht zu Bett gehen. Er blinzelt hoch zu den Sternen – ach, könnte er dieses Bild hinüber retten in einen ewigen Traum – sacht überkommt ihn der Schlaf.


Der nächste Morgen gibt keine Zeit zum nachdenken. Er funktioniert nach der Uhr an seinem Handgelenk, nach Uhren an Wänden in Straßen, Geschäften, bis ihn ein großes Gebäude verschluckt. Erst zehn Stunden später tritt er wieder heraus auf die Straße, und wieder umgibt ihn die Nacht. Er atmet metallische Luft und geht ein paar Schritte. Ungehaltenes Hupen hier und da auf Straßen, schwarz und bunt von ungezählten Lichtern – alles gleichgültig – gleichgültig. Die Nacht hebt ihre Schwingen. Sie scheint ihn entführen zu wollen in ein Drama, das, wenn er will, beginnt. Er wendet sein Auto und hält an einer Stelle nahe einer Brücke. Hier „scheinen die alten Weiden so grau“, erinnert er sich, und die Nacht wispert leise: „Ich lieb dich, mich reizt deine schöne Gestalt“ – war es nicht so? Als er noch jünger war, kannte er diesen Text [s. Goethe, Erlkönig] auswendig und sah den Reiter im Winde fliegen, auf den Armen ein ächzendes Kind – ja, so war es. Schon früh erlernte man, dass Kurzweil im Checken der anderen lag, denen man nie begegnen würde. Und heute kräuselt der Schauder weiter wohlig die Rücken, wenn das Entsetzen hervorkroch aus Fernsehern und Kinos, und doch anhalten musste vor der Geborgenheit weicher Sessel, in denen man gebannt entspannte.


Aufmerksam blickt er so in die Nacht, hinauf zu den Sternen. Nah sind sie, wie gestern. Er geht ein paar Schritte, das Gras ist vom Tau noch feucht. Seine Schuhe glänzen – er blickt sich um. Niemand bewegt sich hier draußen, außer den Zweigen der alten Weidenbäume. Er geht weiter und atmet Nachtluft. Still ist es um ihn her – er sollte öfter hierher kommen, denkt er und bleibt stehen. Gedankenverloren wandert sein Blick wieder hinauf zu den Sternbildern: Orion grinst so breit, winzige Sterne bekränzen seine Stirn – wie im Märchen des Froschkönigs – und da ist Kassiopeia, die eckige Schlange – vertraut und gleichförmig ziehen sie ihre Bahn – der große Wagen kippt – eins, zwei, drei, vier, fünfmal die Rückwand verlängert zum Nordstern hin; nur der hält seinen Platz im Himmel, während langsam um ihn die Bilder kreisen und kreisen – wird das jemals enden? Wo blieb hier Kurzweil? Was suchte er eigentlich? Sein Nacken war steif geworden vom Schauen. Die Nacht lag kühl auf seinem Gesicht. Plötzlich ernüchtert will er zurück. Er geht zu seinem Wagen und fährt heim.


Der letzten Nacht folgten viele, ähnliche und gleiche. Das friedvolle Locken des Himmels vernahm er lang nicht mehr – oder wusste er nur nichts damit anzufangen? Der Orion war schon vom Himmel verschwunden, jetzt empfing ihn Tageslicht nach der Arbeit. Die Nächte waren kurz und heller geworden. Grillen zipten an Abenden voller Licht und Wärme – er wusste, das würde auch nächstes
Jahr so sein. Er ging schlafen und arbeitete, schlief wieder und arbeitete – so verging der Sommer, ohne dass er den Himmel hinter seiner Fensterfront je wieder fragte: „Ist da oben jemand?“ Er lachte leise, als die Erinnerung plötzlich kam – ja, irgend jemand musste doch damals im Himmel gewesen sein, so still und gut hatte sich die Eingebung angefühlt. Warum war er dem nie mehr nachgegangen? Warum hatte er immer nur Kurzweil gebraucht? Er seufzte und stellte den Fernseher an.

Aber GOtt vergaß ihn nicht. ER wartete lange Jahre auf ihn, versuchte seine Aufmerksamkeit zu fangen in vielerlei Zeichen – aber er achtete nicht darauf. Die Welt riss ihn mit sich, die Zeit, die Eile – sein Herz war mit den Jahren kälter geworden.
Ob GOtt ihn noch erreicht hat in seinem Erdenleben, ist nicht bekannt. Er lebte noch Jahre danach, Jahrzehnte, wurde Rentner, ging gern hinaus in die Natur – ob er dort etwas suchte, wusste er nicht. Er hatte ja alles, es ging ihm gut, er wollte zufrieden sein. Und das schenkte GOtt ihm: meist war noch alles gut gegangen in seinem Erdenleben.

 

Modern Times

Da stand Er, ich hätte Ihn berühren können. Irgendwie war Er in unser abgeschlossenes Mitarbeiterzimmer gekommen, wo wir uns schon eine Zeitlang in Klausur befanden. Gerade besprachen wir, was passiert war und wie es nun ohne Ihn weitergehen sollte.
Da stand Er vor uns und fragte, ob wir etwas zu essen hätten. Ruhig nahm Er den gebackenen Fisch, den ich Ihm zögernd hinstreckte, kaute schweigend und sah uns dabei freundlich an. Aber – eigentlich war Er doch tot: vor drei Tagen hatten sie Ihn für alle sichtbar blutig umgebracht! Einer von uns fiel in Ohnmacht.
„Können Tote essen?“ fragte Er und half dem Entkräfteten auf den Stuhl zurück. Dabei wirkte Er schön und herrlich wie ein König aus Blut und Licht- ich kann es nicht anders beschreiben – Sein Wesen war Großmut, Liebe, Freiheit – Er war hinreißend, herzlich, himmlisch – und doch irdisch wie einer von uns – aber niemals würde ein Mensch sein können wie Er, furchterregend herrlich und doch – so anziehend gut – wir liebten Ihn.
Endlich löste sich die Spannung: der erste von uns sprang auf und fiel Ihm um den Hals – Stühle kippten um, wir jubelten und lachten und schrien begeistert durcheinander. Alle begrüßten Ihn, als wäre Er ewig fort gewesen, dabei waren es nur drei Tage, und Er war wieder da!
Konnte es für uns etwas Größeres geben, als dass Er zurück war, von wo auch immer? In einem Höhlengrab hatte Er gelegen! Zwei von uns waren am Vormittag hingelaufen, weil es hieß, das Grab sei aufgebrochen worden und Er sei weg, die Leiche gestohlen. Johann behauptete geheimnisvoll, das sei nicht wahr, Er lebe, niemand habe Ihn gestohlen, und erinnerte uns an vieles, das Jesus uns immer wieder gesagt hatte, ohne dass wir es begriffen hätten. Aber jetzt, hier in Seiner plötzlichen Gegenwart fiel es uns wie Schuppen von den Augen und wie ein schwerer Vorhang von unsern Seelen: Er lebte ja ewig, Er war GOTTES SOHN, und deshalb hatte der Tod Ihn nicht halten können! Ganz umsonst hatten wir uns schwerste Sorgen gemacht und waren verzweifelt gewesen.
Das Größte kam dann noch etwa sechs Wochen später: Wir alle waren zusammen mit Ihm zu unserem Lieblingsplatz gegangen, ein grüner Hügel voller Olivenbäume in der Nähe der Stadt. Dort verbrachte Er gern die Nächte allein, betend. An diesem Tag kraxelten wir bis ganz nach oben und plauderten dabei angeregt. Gerade begannen die ersten Sterne zu funkeln, Zikaden zirpten laut, es war warm, wir wollten ein Feuer machen zur Nacht, aber Er hielt uns zurück und verabschiedete Sich von uns. Wo wollte Er diesmal hin? Sollten wir auf dem Berg auf Ihn warten?
Er gab uns einige Instruktionen, was wir ohne Ihn zu tun hätten, und dann, wir trauten unseren Augen kaum, zog Ihn etwas von uns fort, immer höher und höher in die Luft hinein, eine Wolke nahm Ihn wohl, brachte Ihn höher fort von uns, Er winkte, schon weit über den Bäumen – uns allen stand der Mund offen, als wir Ihm nachsahen – ich musste daran denken, wie Er einmal nachts über die stürmische See zu uns gekommen war: Er lief durch das aufgepeitschte Wasser, immer geschickt zwischen den Wellenkämmen hindurch, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, und wir alle brüllten aus Angst vor Gespenstern.
Diesmal war es nicht unheimlich, es gab keinen Sturm, der Abend hatte friedlich und wunderbar begonnen, und so war auch Sein Abschied von der Erde – Sein irdischer Aufenthalt auf unserem, oder sollte man sagen: auf Seinem Planeten war nun Vergangenheit.

Karfreitag

Schwarz bauscht sich ihr Rock an dem schweren Pfahl, den sie gebrochen umklammert. Über den kargen Hügel streicht der Wind, weht Sand an knöcherne Schädel, die dort vergessen wurden, fasst ihren Verwesungs-geruch und trägt ihn fort. Eine andere Frau weint an demselben Pfahl, auch ihr Haupt mit dunklem Tuch verhüllt. Etwas weiter entfernt kauern Frauen in einer Gruppe zusammen. Ihr leerer Blick stiehlt sich scheu zu den drei Kreuzen hin – Tränen haben sie nicht mehr – ihre Gesichter sind meist zu Boden gerichtet. Der Wind heult sacht und verwirbelt weiße Knochen, die die Grässlichkeit des Ortes bezeugen.
Einige Männer auf diesem Hügel warteten verzweifelt und wagten noch immer zu hoffen, Er könnte herabsteigen von diesem Holz, an das man Ihn vor Stunden nagelte – sie hatten gesehen, wie harte Eisennägel durch Seine Hände und Füße getrieben wurden – Hammerschlag um Hammerschlag erbarmungslos, wie bei den zwei anderen Menschen neben Ihm, um ihre Körper festzuhalten an den grob getriebenen Pfählen.
Das geschah vor fast sechs Stunden. Die Männer redeten nicht, aber alle dachten dasselbe: ´Komm, Jesus, komm zu uns herunter, sei bei uns, geh nicht weg, bitte! Lass uns nicht hier allein ohne Dich, Der Du uns Leben und Frieden geschenkt hast wie niemals jemand sonst! Komm bitte, komm!` – Dann wieder starrten sie unverwandt den armen Leib an, der dort hoch oben noch immer hing, ganz reglos inzwischen, von Qualen betäubt. Und ungläubig hoffnungslos gaben einige auf, fielen in den Staub und wollten sterben ohne Ihn.
Jesus! Wie oft hatten sie erlebt, dass Er etwas tat wie nie jemand zuvor: Mit einem Wort hatte Er Tote zum Leben gebracht, unzählige Kranke im Nu geheilt, war über stürmisches Wasser gegangen, als wäre es Boden unter Seinen Füßen, und letzte Nacht hatte Er Sich ohne zu wehren gefangen nehmen lassen. Den Männern, die bei Ihm waren, verbot Er zu streiten. Und so war Er abgeführt worden in den Hof des Hohenpriesters.
Nun dachten sie, Er werde ein Exempel statuieren und wie immer unbeschadet hervorgehen, auch aus dieser Gefangenschaft, um allen zu zeigen, wer Er wirklich war. Vor ihren Augen ging Er sogar bis zum Äußersten: an ein römisches Hinrichtungskreuz! Keiner der Männer konnte Seinen Tod wirklich glauben! Er hatte etwas vor – was hatte Er ihnen gesagt in den letzen Tagen: „Eine kleine Weile, und ihr seht Mich nicht mehr, und wieder eine kleine Weile, und ihr werdet Mich sehen.” Einige der Männer fragten sich: Was bedeutet das? Sie hatten nachgefragt: „Wovon redest Du? Wir verstehen nicht, was Du meinst.” Er sagte, sie würden weinen und wehklagen, während die Welt sich freute; sie würden traurig sein, aber ihre Trauer würde zur Freude werden [Joh 16,16 – 20].
Jetzt waren sie voller Angst – wenn Er tatsächlich starb, hieß das nicht, dass GOtt Ihn nicht geschickt haben konnte, und dass auch Er nur Mensch war, wie Mose und alle anderen Propheten? Gottes Reich würde nicht mehr kommen, würde untergehen mit Ihm. Man müsste weiter warten auf den Retter Israels, der kommen würde, wie die Schrift voraussagte. Ach! Wenn Jesus nicht der Retter war, dann wollten auch sie nicht mehr leben. Sie wollten Ihm in den Tod folgen und GOtt einst fragen, warum Er sie nicht aus Eisen gemacht hatte, wenn dieser Mann Jesus sie nicht ins Reich Gottes hatte führen können. Es war doch schon zum Greifen nah – und nun war alles nichtig, alles umsonst.
Angesichts solcher Qual erinnerten sie sich nicht mehr an die Worte, mit denen Er sie vorbereiten wollte auf diese Stunde: ´Der Sohn des Menschen wird überliefert in der Menschen Hände, und sie werden Ihn töten; und nachdem Er getötet ist, wird Er nach drei Tagen auferstehen`. [Mk 9:31-32; Mk10 ,32-34; Luk 18,31-34]. Sie hatten das nicht verstanden, fürchteten sich aber Ihn zu fragen. An diesem Tag ergraute das Licht, der Mond schob sich zwischen Sonne und Erde, Finsternis kroch über die Welt – laut schrie Jesus auf, die Erde bebte, dass Gräber aufbrachen – im Tempel riss der dick gewebte Vorhang von oben nach unten entzwei – das Allerheiligste stand offen – Jesus – war tot.

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