Ein Trip nach Rom

Es muss Mitte der 70er Jahre gewesen sein. Seitdem ich angefangen war, Bibel zu lesen, kam ich auf die  Katholische Kirche, der ich zu dieser Zeit noch angehörte, immer weniger  klar. Die Bibel hatte ich damals dann immer dabei, selbst beim Trampen und Abends in der Disco, und ich hatte mir angewöhnt, sogar mein Hasch auf der Bibel zu zerbröseln. Der Nebeneffekt davon war, dass ich, wenn ich mal nichts mehr hatte, mit einem Taschenmesser die Bibel auskratzen konnte; für ein, zwei Köpfe reichte das immer. Natürlich war ich auch angefangen, über die vielen Fragen, die sich mir durch die tägliche Bibellektüre stellten, mit katholischen Geistlichen, mit Priestern und Ordensleuten, zu sprechen, aber die Antworten waren äußerst unbefriedigend. Ich hatte den Eindruck, dass die meisten nur faselten oder ausgewichen sind. Überhaupt spürte ich viel Gleichgültigkeit, Angst, Unsicherheit und Ablehnung. Also beschloss ich, dem Chef in Rom, Papst Paul VI., persönlich einen Besuch abzustatten. Dazu habe ich mir im Bewusstsein meiner außergewöhnlichen Pilgerreise einen weißen Judoanzug angezogen, einen Kasten mit Ölkreiden, meine zerlesene und buntbemalte Bibel , meinen Kulturbeutel, einen Allwetterschlafsack sowie ein paar Klamotten zum Wechseln in einen Seesack geworfen, schließlich noch ein bisschen Grass und einen LSD-Trip in meinem Tabaksbeutel versteckt, und ab ging´ s. Die Tramptour verlief  trotz  oder vielleicht auch gerade wegen meines doch recht exotischen Aussehens – damals hatte ich lange, fast weißblonde Haare aber  noch keinen Bart – völlig unproblematisch. Lediglich durch die Peripherien von Mailand musste ich Kilometer weit laufen, vorbei an eintönigen Fabriken, Werkshallen und Hochhäusern. Diese Strapaze nahm ich gleichmütig auf mich. Vor meinem inneren Auge stand das Bild von David Carradine, dem einsamen Tramp aus der „Kung Fu“ –TV-Serie, und mein musikalischer Erinnerungsspeicher war ohnehin besser als jede Musikbox. Bob  Dylans Songs wie „Like a rolling stone“ oder „Masters of war“ ,   „Universal Soldier“ , mit dem Donovan bekannt wurde, Janis Joplins„Bobby Mc Gee“ ,   Cat Stevens „Peace Train“ , Rod Stewards „Gasoline Alley“ sowie unzählige weitere Songs hatten sich tief in meine Seele gebrannt. Einen Walkman oder Discman habe ich deshalb nie besessen oder vermisst. So allein an der Ausfallstraße traute ich mich sogar mitzusingen. Im Beifahrersitz eines Porsches schlief ich eine Weile. Als ich aufwachte, befanden wir uns schon mitten in der ‚ewigen Stadt’. Weil ich Hunger und Durst verspürte und meine Versuche, etwas Geld zu erbetteln, nicht gleich von Erfolg gekrönt waren, setzte ich mich auf eine Treppe und bot  einen handgestrickten Wollpullover, ein Geschenk meiner Mutter, an dem sie viele Abende gearbeitet hatte, zum Kauf an. Die paar tausend Lira, die ich von einem Italiener dafür bekam, reichten gerade zu einer Straßenpizza, einem großen Milchkaffee, ein paar Esskastanien  und einer Packung filterloser Zigaretten. Egal, ich war ja nicht in Rom um reich zu werden, sondern um mit dem Papst zu sprechen. Also habe ich mir den Weg zum Vatikan erklären lassen und latschte los. Auf dem Petersplatz war abgesehen von einigen japanisch aussehenden Touristen nicht viel los. Ich habe mir dann eine Ecke gesucht, wo das Pflaster mir zum Malen gut geeignet schien und meine Ölkreiden ausgepackt. Schon meine ersten Vorzeichnungen von  Feuer speienden  Panzern, Bomben abwerfenden Flugzeugen, verstümmelten, verbrannten Menschen, hungernden Kinder, sowie  vielen Kreuze und Fragezeichen weckten allgemeines Interesse der Japaner. Ich trug so viele Fragen mit mir herum. Vielleicht hatte der Papst eine Antwort? Voll aufs Zeichnen konzentriert merkte ich erst, dass die päpstliche Garde aufmarschiert war, als sie mich mit ihren Hellebarden beinahe aufspießten. Ohne mir die Möglichkeit zu geben, mich zu rechtfertigen oder meinen Auftritt zu erklären, wurde ich gepackt und mit Brachialgewalt der römischen Polizei übergeben. Auf einer Polizeiwache wurde ich zunächst in eine Zelle gesteckt und schließlich von einem deutsch sprechendem Beamten zur Vernehmung  in sein Büro geführt. „Was wolltest du im Vatikan?“ fragte er. „Den Papst sprechen“ antwortete ich wahrheitsgemäß. „Warum hast du dann das Pflaster bemalt?“ „Um seine Aufmerksamkeit zu bekommen und über das Medium Malerei ein paar existentiellen Fragen loszuwerden.“ „Wie lange willst du in Rom bleiben?“ wollte er wissen. „Ein paar Tage vielleicht,“ sagte ich. „Hast du Geld dabei ?“  „Nein.“ . „Wo von willst du leben, vom Betteln oder Klauen?“ setzte er sein kleines Verhör fort.  „Ich bin Cartoon-Maler. Dadurch finde ich eigentlich immer schnell Anschluss,“ erklärte ich ihm.“ Würdest du mir auch ein Bild malen?“ fragte er. „Klar doch!“ Er reichte mir ein Din- A 3 Blatt und ein Kästchen mit Bunt- und Filzstiften. „Dann leg mal los Ich bin in etwa einer Stunde wieder da.“ Aus der Erinnerung reproduzierte ich eine surreale Szenerie, wie ich sie vor einigen Monaten wesentlich größer mit Plakafarben auf ein über einen selbst gefertigten Holzrahmen gespanntes und mit Mehlkreide verstärktes Bettlaken gemalt hatte: Autos, die Menschen durch den Stadtverkehr steuerten, Zigaretten, die junge Mädchen anzündeten, Ampeln und Häuser mit menschlichen Zügen, und  Menschen, die eher Robotern glichen. Der Kommissar kam zurück und betrachtete nachdenklich die schnell dahingeworfenen Skizze. Sie schien ihm zu gefallen, denn er wollte sie behalten. „Pass gut auf“, sagte er  ganz unvermutet, „ich schlage dir einen Deal vor, wie ich ihn nicht jeden Tag mache. Du versprichst mir, weder zu betteln noch zu malen, jedenfalls nicht mehr auf römischem Boden oder im Vatikan. Das gibt nur Ärger, und dann bist du schneller wieder hier, als uns Beiden lieb ist. Im Gegenzug biete ich dir ein gratis Zimmer für zwei Nächte an, Pension mit Frühstück; das Mittagessen kannst du dir in der Polizeimensa abholen. So kannst du dir in aller Ruhe Rom angucken, und wenn die zwei Tage rum sind,  meldest du dich wieder bei mir, und du bekommst ein Polizeitaxi bis zur österreichischen Grenze.“Um ehrlich zu sein, ich habe nicht einen Moment gezögert, einzuschlagen. In der Pension, einer billigen Absteige, waren hauptsächlich Südamerikaner untergebracht, und es roch nach Marihuana. Ich schlief tief und fest. Früh am nächsten Morgen war ich wieder auf der Straße, bin kreuz- und quer durch die Stadt gestreift und sog die italienischen Metropole mit all  ihren Farben, Gerüchen und Geräuschen förmlich in mich auf. Natürlich  ließ ich mir auch das Mittagessen in der Polizeimensa nicht entgehen. Während ich, noch immer mit dem Judoanzug bekleidet, die  Mahlzeit einnahm, fixierten Dutzende von Uniformierten mich mit ihren Blicken. In einem kleinen Park drehte ich mir eine kleine Grass-Tüte und schluckte den mitgebrachten LSD-Trip. Als ich eine Weile später in einer Eisdiele auf die Toilette gehen wollte, setzten so starke Halluzinationen ein, dass ich auf dem Weg dorthin die kleinen Tischchen und Stühle glatt übersehen habe und alles über den Haufen lief. Durch laute Gitarrenmusik wie magisch angezogen, geriet ich schließlich in eine Zeltevangelisation der „Kinder Gottes“, einer aus der amerikanischen Jesus – People -Bewegung abgedrifteten pseudo-christlichen Jugendsekte. Eigentlich waren sie ständig darauf aus, neue Jünger zu rekrutieren, aber als ihre Leiter spürten, dass ich voll unter Drogenwirkung stand und nicht sie mich sondern ich ihre jugendlichen Anhänger mit meinen Gedanken und unkonventionellen Bibelauslegungen beeinflusste, nahmen sie regelrecht Reißaus vor mir. Wie ich in diesem Zustand zu meiner Pension zurückgefunden habe, weiß ich nicht. Im Polizeitaxi auf dem Weg zur Grenze am nächsten Morgen war ich schon wieder ziemlich klar im Kopf, und auch der weitere Rücktramp verlief zunächst wieder easy. In Süddeutschland bot mit ein Schausteller, der mich in seinem dicken Daimler mitgenommen hatte, Übernachtung und Essen in seinem Schaustellerwagen an dafür, dass ich ihm einige Stunden beim Karussellaufbau half. Von dort ging es mit nur  zwei oder drei Fahrzeugwechseln zurück ins heimatliche Emsland. In Kluse, einem kleinen Ort an der B 70, etwa 20 km von Papenburg entfernt, wurde ich abends gegen 22:00  Uhr abgesetzt. Dort habe ich bis weit nach Mitternacht vergeblich versucht, noch einen Wagen zu stoppen, und mich schließlich  auf die Socken gemacht, um die restliche Strecke nach Hause zu laufen. Meine Eltern schienen irgendwie erfreut, mich zu sehen, aber bereits am Frühstückstisch gab´ s die übliche  Auseinandersetzungen. Hasch, Heroin und lange Haare, für sie war das alles dasselbe.  Wir beteten zwar – wie sich das für gute Katholiken gehörte –vor jedem Essen, aber mit meinen Problemen bzgl. Papst und Kirche waren auch sie total überfordert.Zu einer Begegnung mit dem Papst ist es also damals nicht gekommen. Dafür begegnete mir der Herr Jesus selbst, heilte mich von Rauschgiftsucht, Rebellion und einer durch meinen exzessiv betriebenen Drogenmissbrauch ausgelösten schweren schizophren Erkrankung. Seit mehr als 30 Jahren lebe ich seitdem absolut drogenfrei, sogar das Rauchen habe ich von einem Moment zum anderen aufgeben können. Gott schenkte Familie, Beruf ….to tell a long story short, unser Herr gab Seinen Frieden in mein Herz, aber Fragen gerade an die Katholische Kirche, die geistliche Heimat meiner Kindheit und Jugend, sind geblieben und warten bis heute auf zufriedenstellende Antworten.

Ein Kommentar

  1. Salvatore sagt:

    man stelle sich vor was einen süditalienischen im Osten Deutschlands trotz guten Benehmens (behördlicherseits) an Ablehnung erwarten würde, (das ausgewiesene Gebiet der Reformation), UMGEKEHRT jemand aus dem hohen dt. Norden in Mittelitalien (das mutmassliche diabolische Papstgebiet) obwohl schlechtens Benehmens sogar mit Polizeitaxi Geleit bekommt ..

Hinterlasse einen Kommentar.