72 Siegerland (Und der Sommer war heiß)

Gepostet von Joe Wittrock um 14:36

Das Lied ist eine Reise zurück in das Jahr 1972.

Durch das falsche Vorbild eines Jugendfreundes animiert, steckte sich Arno im Kaufhof in Siegen eine Tonbandspule ein. Es war das erste und letzte mal, denn er wurde sofort vom Kaufhausdetektiv erwischt, konnte sich aber losreißen und flüchten. “Hoffentlich hat mich keiner gesehen“, dachte er, als er sich völlig atemlos im Eingang eines Geschäftes unterhalb vom Kaufhof versteckte. Und dann als nächstes, unvorbereitet, wie aus dem Nichts: „Gott hat dich gesehen!“ So etwas hatte er noch nie gedacht, denn er war nicht sonderlich religiös! Aber es war der Beginn einer bewussten Suche.

Zu Anfang jenes Jahres hatte sechs Abende lang das international besetzte Rockmusical „Hair“ in der ausverkauften Siegener Stadthalle gastiert. Als Arno in der Siegener Zeitung vom Ausstieg mehrerer Darsteller aus dem Ensemble las, weil sie, wie sie sagten, Jesus Christus nachfolgen wollten, hatte er noch gedacht: „Was für Bekloppte.“ Ähnlich urteilte er über einen gewissen Typ namens Capito, den er in seinem Heimatort Salchendorf im weißen Gewand aus seinem VW-Käfer mit großer ‚Jesus-Aufschrift‘ aussteigen sah.

Die sogenannte ‚Jesus People Welle‘ war von Amerika über den großen Teich geschwappt und in Europa angekommen. Das Jahr 1972 war das Jahr der Jesusbewegung – und Arno war 17 Jahre alt, las Siddhartha von Hermann Hesse, trug einen bodenlangen schwarzen Plastikmantel mit Kunstfellbesatz, den er legal, aber runtergesetzt, ebenfalls im Kaufhof, für drei Mark ergattert hatte, ein altes, knallrotes Häkeljäckchen von seiner Oma mit einem Anstecker ‚Tag der Arbeit‘ aus den dreißiger oder vierziger Jahren, die orange, samtene Hochwasserhose mit den alten Hosenträgern seines Vaters und ‚abgewetzte‘ Cowboystiefel.

So zog er durch die Straßen, die er der drückenden Enge des Elternhauses vorzog, und so traf er an einem Sonntag im Regen an Ginsbergs Ecke in Neunkirchen den Kommunisten Muffi, eingetragenes Mitglied der DKP. Muffi, den er vom Tischtennis kannte und der sonst immer mit marxistischen Theorien um sich warf, war irgendwie verändert. Sie sprachen lange miteinander, denn Muffi erzählte von seiner Begegnung mit Jesus und einem „neuen Leben“, das er durch Jesus bekommen hätte. Dieses Gespräch überwältigte Arno dermaßen, dass er abends im Bett Jesus Christus mit unbeholfenen Worten ebenfalls in sein Leben einlud. Er wollte das haben, was Muffi besaß. Und tatsächlich, Frieden, Freude und Hoffnung waren danach so stark, dass sogar Arnos Depressionen und Angstzustände, die er seit Kindheit hatte, mit der Zeit verschwanden.

Später lud Muffi ihn zu einem ‚Jesus-People‘- Hauskreis in Zeppenfeld ein. Dort traf er weitere Jugendliche, u.a. seinen Freund Bagger mit der Riesenbibel. Und der Sommer war heiß damals, über 30 Grad, und Arnos Leben wurde zum Abenteuer, das bis heute anhält.

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