Schwarz bauscht sich ihr Rock an dem schweren Pfahl, den sie gebrochen umklammert. Über den kargen Hügel streicht der Wind, weht Sand an knöcherne Schädel, die dort vergessen wurden, fasst ihren Verwesungs-geruch und trägt ihn fort. Eine andere Frau weint an demselben Pfahl, auch ihr Haupt mit dunklem Tuch verhüllt. Etwas weiter entfernt kauern Frauen in einer Gruppe zusammen. Ihr leerer Blick stiehlt sich scheu zu den drei Kreuzen hin – Tränen haben sie nicht mehr – ihre Gesichter sind meist zu Boden gerichtet. Der Wind heult sacht und verwirbelt weiße Knochen, die die Grässlichkeit des Ortes bezeugen.
Einige Männer auf diesem Hügel warteten verzweifelt und wagten noch immer zu hoffen, Er könnte herabsteigen von diesem Holz, an das man Ihn vor Stunden nagelte – sie hatten gesehen, wie harte Eisennägel durch Seine Hände und Füße getrieben wurden – Hammerschlag um Hammerschlag erbarmungslos, wie bei den zwei anderen Menschen neben Ihm, um ihre Körper festzuhalten an den grob getriebenen Pfählen.
Das geschah vor fast sechs Stunden. Die Männer redeten nicht, aber alle dachten dasselbe: ´Komm, Jesus, komm zu uns herunter, sei bei uns, geh nicht weg, bitte! Lass uns nicht hier allein ohne Dich, Der Du uns Leben und Frieden geschenkt hast wie niemals jemand sonst! Komm bitte, komm!` – Dann wieder starrten sie unverwandt den armen Leib an, der dort hoch oben noch immer hing, ganz reglos inzwischen, von Qualen betäubt. Und ungläubig hoffnungslos gaben einige auf, fielen in den Staub und wollten sterben ohne Ihn.
Jesus! Wie oft hatten sie erlebt, dass Er etwas tat wie nie jemand zuvor: Mit einem Wort hatte Er Tote zum Leben gebracht, unzählige Kranke im Nu geheilt, war über stürmisches Wasser gegangen, als wäre es Boden unter Seinen Füßen, und letzte Nacht hatte Er Sich ohne zu wehren gefangen nehmen lassen. Den Männern, die bei Ihm waren, verbot Er zu streiten. Und so war Er abgeführt worden in den Hof des Hohenpriesters.
Nun dachten sie, Er werde ein Exempel statuieren und wie immer unbeschadet hervorgehen, auch aus dieser Gefangenschaft, um allen zu zeigen, wer Er wirklich war. Vor ihren Augen ging Er sogar bis zum Äußersten: an ein römisches Hinrichtungskreuz! Keiner der Männer konnte Seinen Tod wirklich glauben! Er hatte etwas vor – was hatte Er ihnen gesagt in den letzen Tagen: „Eine kleine Weile, und ihr seht Mich nicht mehr, und wieder eine kleine Weile, und ihr werdet Mich sehen.” Einige der Männer fragten sich: Was bedeutet das? Sie hatten nachgefragt: „Wovon redest Du? Wir verstehen nicht, was Du meinst.” Er sagte, sie würden weinen und wehklagen, während die Welt sich freute; sie würden traurig sein, aber ihre Trauer würde zur Freude werden [Joh 16,16 – 20].
Jetzt waren sie voller Angst – wenn Er tatsächlich starb, hieß das nicht, dass GOtt Ihn nicht geschickt haben konnte, und dass auch Er nur Mensch war, wie Mose und alle anderen Propheten? Gottes Reich würde nicht mehr kommen, würde untergehen mit Ihm. Man müsste weiter warten auf den Retter Israels, der kommen würde, wie die Schrift voraussagte. Ach! Wenn Jesus nicht der Retter war, dann wollten auch sie nicht mehr leben. Sie wollten Ihm in den Tod folgen und GOtt einst fragen, warum Er sie nicht aus Eisen gemacht hatte, wenn dieser Mann Jesus sie nicht ins Reich Gottes hatte führen können. Es war doch schon zum Greifen nah – und nun war alles nichtig, alles umsonst.
Angesichts solcher Qual erinnerten sie sich nicht mehr an die Worte, mit denen Er sie vorbereiten wollte auf diese Stunde: ´Der Sohn des Menschen wird überliefert in der Menschen Hände, und sie werden Ihn töten; und nachdem Er getötet ist, wird Er nach drei Tagen auferstehen`. [Mk 9:31-32; Mk10 ,32-34; Luk 18,31-34]. Sie hatten das nicht verstanden, fürchteten sich aber Ihn zu fragen. An diesem Tag ergraute das Licht, der Mond schob sich zwischen Sonne und Erde, Finsternis kroch über die Welt – laut schrie Jesus auf, die Erde bebte, dass Gräber aufbrachen – im Tempel riss der dick gewebte Vorhang von oben nach unten entzwei – das Allerheiligste stand offen – Jesus – war tot.
Karin Wienekamp, Februar 2021 www.jesus-connect.de