Ich war mal wieder für ein Wochenende bei meinen in Papenburg lebenden Eltern aufgetaucht. Mein Vater schien trotz meiner verwaschenen mehrfach geflickten Jeans und meiner weit über die Schultern und ins Gesicht fallenden Mähne erfreut mich zu sehen.
„Du kannst mir eine Gefallen tun“ meinte er gleich bei der Begrüßung. „Ein Auslieferungsfahrer ist ausgefallen. Ich habe sonst niemanden. Wäre schön, wenn du die Tour übernehmen könntest.“
Allein der Gedanke daran, mal wieder einen Autositz unter dem Hintern zu haben, ließ mein Herz höher schlagen. An meinem Studienort verfügte ich nämlich über keinen fahrbaren Untersatz. Bei dieser Gelegenheit konnte ich dann doch auch gleich eine kleinen Abstecher in die nahe gelegenen Niederlande einplanen, um meinen Hasch-Vorrat aufzufrischen.
Ich angelte mir einen der Bulli-Schlüssel vom Schlüsselbrett, verstaute mehrere Haushaltsgeräte sowie einige Kartons mit Haushaltswaren im Laderaum des dazugehörigen VW T 2 Kastenwagens, und los ging es, zunächst über Aschendorf zum Grenzübergang Rhede/Bellingwolde.
Wenn ich mich recht erinnere wurde ich trotz des auffälligen Firmenwagens weder bei der Ausreise noch bei der Einreise gut eine halbe Stunde später mit einem fetten Stück Haschisch in der Tasche in irgendeiner Weise kontrolliert, sondern einfach durchgewinkt, weil sämtliche Zöllner auf deutscher wie auf niederländischer Seite schon hinreichend mit Fahrzeugkontrollen beschäftigt waren.
Es war ein Tag, wie ich ihn mir gern gefallen ließ. Hochsommerliche Temperaturen, aus dem Autoradio plärrte zum wiederholten Mal „The Joker“ von der Steve Miller Band, ein Song, der so ganz meinem damaligen Lebensgefühl entsprach, und über die Dörfer des Hümmlings zu fahren, um die Geräte und Waren auszuliefern, stellte auch ohne GPS Navi – so etwas gab es damals noch nicht – für mich keine große Herausforderung dar.
Am frühen Nachmittag in Sögel – meine Aufträge hatte ich fast alle abgearbeitet – fand ich, dass es an der Zeit war, eine kleine Pause einzulegen und mir einen Joint zu genehmigen. Ich parkte in einer ruhigen Seitenstraße. Eine pralle Tüte zu rollen war längst Routine, aber dann gab schon beim Erwärmen des Haschisch, damit es sich besser bröseln ließ, mein Feuerzeug seinen Geist auf. Wo eigentlich der Zigarettenanzünder sein sollte, gähnte ein Loch. Und obwohl der Aschenbecher im Armaturenbrett so voller Kippen war, dass er sich nicht mehr schließen ließ, konnte ich auch nirgends Streichhölzer finden.
Just in diesem Moment sah ich in etwa hundert Metern Entfernung einen Mann in amerikanischer Militär-Uniform die Straße entlangschlendern, eigentlich nichts ungewöhnliches, denn in Sögel waren von 1963 bis weit in die 90er Jahre Soldaten des 552nd US Army Artillery Corps stationiert. Mit einigen von ihnen hatte ich häufiger einmal im Dunstkreis der einschlägigen Diskotheken zwischen Papenburg und Lingen gekifft aber auch härtere Drogen wie LSD konsumiert. Für mich waren diese Amis alle Drogenfreaks. Einige Male war ich sogar zu einer Drogenparty direkt in der Sögeler Mühlenberg-Kaserne eingeladen, auch hatte ich einmal einen größeren Deal für sie auf den Weg gebracht. Lachend erzählten sie, dass seit Jahren seitens der US-Regierung ein Preis ausgelobt war für denjenigen Standort, an dem es ein Jahr lang keine Drogenvorfälle zu verzeichnen gab, dieser Preis aber wohl nie verliehen werden könne.
Deshalb hatte ich auch überhaupt keinen Skrupel, den Bulli wieder in Bewegung zu setzen und, langsam neben dem Uniformierten herfahrend, ihm durchs geöffnete Seitenfenster meinen fertig gedrehten Joint vor die Nase zu halten. „Hey man, if you’ve got a light on you, you’re invited to smoke some good stuff “, offerierte ich ihm, aber meine dreiste Einladung ignorierend, ging er einfach weiter.
So sprang ich aus dem Wagen und wiederholte mein Angebot: „Hey, don’t you feel like smoking some hashish?“ In diesem Moment dreht er sich zu mir um – sehr dunkle Haut, blitzend weiße Zähne, freundliche Augen -, um mir höflich, aber bestimmt zu antworten: „No, sir, thank you, I don’t smoke. I am a Christian.“
Seine Antwort traf mich wie ein unerwarteter Schlag auf den Solarplexus. Bis dahin hatte ich trotz meines chaotischen Lebenswandels mein eigenes Christsein nie in Frage gestellt. Natürlich war ich auch Christ, katholisch getauft und erzogen, Messdiener, hätte das Glaubensbekenntnis, das „Vater-Unser“ oder die Rosenkranz-Gebete vorwärts und rückwärts aufsagen können. Aber dieser Mann hatte – das wurde mir schlagartig bewusst – irgendwie einen anderen Jesus. Meiner damals war so eine Art sanfter Revoluzzer, der Drogen, „freie Liebe“ sowie mein ganzes weiteres Gammler-Leben tolerierte. Seiner war reiner, heiliger, und von diesem Moment an war ich mir absolut nicht mehr sicher, dass meiner der richtige war.
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