Im Spiegel sehe ich gelb. Meine Gallenwerte offensichtlich. Gelb, nicht meine Farbe. Und schon gar nicht dieser Leberalarm. Gelbsucht. Alle in unserer WG fixen. Ich bin vor einigen Monaten eingestiegen. Eine teure Angelegenheit. Und verhängnisvoll. Bonki sitzt in Vechta im Knast, Rob in Nepal. Bonki wird demnächst entlassen, Rob wohl eher nicht. Es nützt nichts. Ich stelle mich meiner Ärztin. Sie veranlasst sofortige Leberbiopsie. Und stellt fest: Keine Virusvariante. Es ist ihre Sucht. Gründlich klärt mich meine Ärztin über Gelbsuchtlangzeitfolgen auf und schreibt mich krank. Panikmäßig zittere ich schweißnass in mein Zimmer. Wie soll ich jemals meinen Entzug schaffen?
Da klingelts. Zum zweiten Mal in dieser Woche steht dieser idiotische Jesus Freak vor der Tür. Irgendwie aus Berlin in unserer hanseatischen Kleinstadt gelandet. Keine Arbeit, kein Geld. Heute textet er mich nicht mit Bibelversen zu. Mein Gelb nicht wahrnehmend, bittet er mich um Hilfe. Morgen hat er sein entscheidendes Vorstellungsgespräch. Ich Sozialarbeiterin möge ihn begleiten. Ohne es zu wissen, packt er frontal den Rest meiner Ehre. Ich sage zu. Aufgewacht lege ich Farbe auf mein Gesicht. Überpünktlich holt mich der Bewerber ab. Hans-Joachim hat keinen Schulabschluss. Erste Arbeitgeberfrage: Was haben Sie früher gemacht? Erste Bewerberantwort: Ich war Wanderer zwischen zwei Welten. Das wars, denke ich als erfahrene Sozialarbeiterin. Und siehe da. Hans-Joachims zukünftiger Arbeitgeber runzelt die Stirn und lächelt. Wanderer zwischen zwei Welten. Das will Herr Ölreich genauer wissen. Hans-Joachim kommt in Fahrt. Erzählt komplett sein ganzes Leben. Und von seiner Bekehrung. Wie Jesus in sein Leben kam. Mit ihm Hoffnung und Lebensmut. Herr Ölreich gibt dem Bewerber eine Chance. Crazy. Wanderer zwischen zwei Welten. Da war doch was. THE WANDERER von Renaissence.
Ich bin am Ende meines Widerstands. Bonki schließt die Tür auf. Ein Blick in seine Augen genügt. Nach seiner Entlassung führte sein erster Weg nicht zu mir. In mir stirbt Liebe und die Sehnsucht nach seinen Zärtlichkeiten. Ich entziehe mich seinem Wunsch. Einst war ich für seine Familie zuständig. Vater gewalttätig, Mutter zigfach missbraucht, kleine Schwester Heimunterbringung. Gegen alle professionelle Vernunft verliebte ich mich in Bonki. Er setzte mir den ersten Schuss. Neun Monate her. Ich muss neu geboren werden: Clean, ohne Bonki. Zur Rückkehr in die Freiheit bringt sein Freund was mit. Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Schnell hat Bonki eine neue Freundin. Kurzweiliges Glück. Unglaublich aber tatsächlich wahr ist ein Brief aus Nepal in der Post. Absender Rob mit Jugend Mit Einer Mission. Wie immer deren Kontakt zu Rob ablief. Rob bittet um Geld für seine Kaution. Wir und andere sammeln und überweisen. Nächster Brief. Absender Rob aus Hamburg. Wir sehen uns demnächst. Was nicht geschieht. Fixer bleibt Trickser. Ich bin enttäuscht, die anderen Spender zucken kurz ihre Schultern. Der Wanderer zwischen zwei Welten und seine kleine Gemeinde nicht. Heute nehme ich zum ersten Mal an ihrem Gebetsgottesdient teil. Das Gotteshaus ähnelt einer Hinterhofgarage. Hans-Joachim stellt mich vor und erzählt von meinem Problem. Der junge Pastor stimmt ein Lied an. Dann geht es zur Sache. Alle beten in mir unbekannten Sprachen. Drei Frauen legen behutsam ihre Hände auf meinen Kopf. Den ich auf meinen Nachhauseweg schüttle. Angekommen liegt Bonkis Schlüssel hingeworfen auf meinem Bett. Also ausgezogen. Seltsam entspannt nehme ich das Wegwerfen unserer Beziehung hin. Die nächste Gebetsversammlung verpasse ich nicht. Wie der Wanderer zwischen zwei Welten bin ich in meiner neuen Welt angekommen. Bonkis Begräbnis findet in aller Stille statt. Kurze Zeit später verstirbt auch sein neues Glück. Von Rob habe nie wieder etwas gehört.